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Keine Toleranz gegenüber der Intoleranz
Pastor Thorsten Graff geht in seiner Kolumne anlässlich des „Zero Discrimination Day“ auf Religionsfreiheit, Menschenrechte und Engagement für mehr Diversität ein.
Heute ist „Zero Discrimination Day“. Diesen Tag haben die Vereinten Nationen ausgerufen, um ein deutliches Zeichen gegen jede Form der Diskriminierung zu setzen. Trotzdem werden Menschen weltweit aufgrund ihrer Herkunft, Religion, ihres Geschlechts, Alters, ihrer sexuellen Orientierung, Hautfarbe, einer Erkrankung oder eines Handicaps diskriminiert. Persönlich ist mir dieses Thema ein großes Anliegen. Das hängt nicht zuletzt zusammen mit meinen Glaubensüberzeugungen und mit meiner religiösen Identität. In diesem Zusammenhang entdecke ich allerdings auch eine große Schnittmenge zur Geschichte und Tradition der Immanuel Albertinen Diakonie:
„Bei Gott sind alle willkommen. Alle.“
Dieser Satz ist das Motto der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Berlin-Schöneberg, die eine der beiden Gesellschafterinnen der Immanuel Albertinen Diakonie ist. Ich kann diesen Satz ohne Einschränkung unterschreiben, er entspricht voll und ganz meinen Glaubensüberzeugungen und meinem Gottesbild. Zu den zentralen Aussagen des christlichen Glaubens gehört, dass Gottes Liebe zu allen Menschen bedingungslos, grenzenlos und vorbehaltlos ist. Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes. Dafür steht im christlichen Glauben der Name Jesus Christus. Ich schäme mich dafür, dass Angehörige und Vertreter christlicher Kirchen bis heute durch ihr diskriminierendes Verhalten ihren eigenen Gott Lügen strafen. Und ich ärgere mich darüber, wenn Worte aus unserer Heiligen Schrift dazu missbraucht werden, Diskriminierung, Ausgrenzung, Intoleranz und sogar Gewalt gegenüber anderen Menschen zu legitimieren. Denn bei Gott sind alle willkommen. Alle. Punkt.
„Wir behaupten nicht nur unsere religiöse Freiheit, sondern wir fordern sie für jeden Menschen“
Nicht nur die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Berlin-Schöneberg, sondern auch die Albertine Assor Stiftung gehören zur christlichen Konfessionsfamilie, die weltweit unter dem Namen „Baptisten" bekannt ist. Von Anfang an standen Baptisten in der ersten Reihe der Bewegung für Religionsfreiheit und Menschenrechte. Schon 1612 hat der baptistische Gründer Thomas Helwys Religionsfreiheit für alle – auch für Muslime – gefordert. Damals eine Sensation! Roger Williams gründete 1636 die Kolonie Rhode Island in Amerika. Erstmalig wurde dort die Trennung von Kirche und Staat und Religionsfreiheit für alle verwirklicht. John Leland (1754-1841) hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die uneingeschränkte Religionsfreiheit in die Verfassung der Vereinigten Staaten aufgenommen wurde. Martin Luther King Jr. gilt als einer der herausragenden Vertreter der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung im gewaltfreien Kampf gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit.
Zu den Gründungsfiguren des Baptismus in Deutschland gehörte Julius Köbner. In seinem „Manifest des freien Urchristentums“ von 1848 heißt es in der damaligen Wortwahl: „Wir behaupten nicht nur unsere religiöse Freiheit, sondern wir fordern sie für jeden Menschen, der den Boden des Vaterlandes bewohnt, wir fordern sie in völlig gleichem Maße für alle, seien sie Christen, Juden, Mohammedaner oder was sonst.“ Köbners Anliegen ist auch 174 Jahre später noch brandaktuell. Auch das Albertinen Diakoniewerk verdankt seine Existenz einer Person, die sich gegen Diskriminierung einsetzte. Denn Albertine Assor, die 1907 den Diakonissenverein Siloah gründete, setzte sich engagiert und couragiert für Gleichberechtigung von Frauen in allen kirchlichen Funktionen ein.
„Wir begegnen allen respektvoll und wertschätzend. Wir schätzen uns in unserer Vielfalt und in unserer Unterschiedlichkeit“
„Zero Discrimination“ gehört ebenfalls zur DNA der Diakonie. Das soziale und karitative Engagement der Mütter und Väter der neueren Diakonie im 18. Jahrhundert wurde angestoßen auch durch das Leiden an der Erfahrung, dass Menschen aufgrund ihres Alters, ihrer Gesundheit, ihres Geschlechts und ihrer Herkunft diskriminiert und ihrer fundamentalen Menschenrechte beraubt wurden. In die Reihe dieser Vorbilder gehört neben Johann Hinrich Wichern, Friederike und Theodor Fliedner sowie Friedrich von Bodelschwingh auch Amalie Sieveking. Sie hat mit der Gründung des „Weiblichen Vereins für Armen- und Krankenpflege“ 1832 der weiblichen Diakonie den Weg bereitet und Maßstäbe gegen die Diskriminierung und für die Unabhängigkeit von Frauen gesetzt. Dass sich Amalie Sieveking genauso für die Religionsfreiheit einsetzte, unterstreicht folgender Satz aus einem Brief an eine Freundin: „Irgendeinen Menschen mit unbedingter Zuversicht zu meinem Führer in Glaubenssachen zu erwählen, das habe ich ohnedies schon lange aufgegeben.“
Ihrem Vorbild einer vorurteilsfreien Nächstenliebe zu allen Menschen ist die Immanuel Albertinen Diakonie nach meiner Überzeugung verpflichtet. Ich bin deshalb froh und dankbar, dass es im neuen Leitbild der Immanuel Albertinen Diakonie unmissverständlich heißt: "Wir begegnen allen respektvoll und wertschätzend. Wir schätzen uns in unserer Vielfalt und in unserer Unterschiedlichkeit". Ich bin auch stolz, dass die erste Einrichtung in Deutschland, die ein Qualitätssiegel für Sensibilität in der Pflege von Schwulen, Lesben, Bi-, Trans- und Intersexuellen verliehen bekam, zu unserem Konzern gehört und 2021 der Korian Stiftungsaward als Deutschen Pflegepreis in der Kategorie Vielfalt und Respekt verliehen wurde. Darüber hinaus hoffe ich, dass wir nie damit aufhören, in der Prävention von Diskriminierung noch besser zu werden, und niemals eine konsequente „Zero Policy“ gegenüber Missbrauch und Gewalt am Arbeitsplatz aufgeben. Mut macht mir außerdem, dass viele Mitarbeitende, obwohl sie sich in ihrer Weltanschauung und Religionszugehörigkeit unterscheiden, vollkommen darin einig sind, dass „Zero Discrimination“ und das Engagement für mehr Diversität eine selbstverständliche Grundhaltung sind. Und schließlich träume ich davon, dass Menschen bei der Immanuel Albertinen Diakonie genau deshalb arbeiten wollen, weil in ihren Einrichtungen Menschen nicht nur nicht aufgrund ihrer Herkunft, Religion, ihres Geschlechts, Alters, ihrer sexuellen Orientierung, Hautfarbe, einer Erkrankung oder eines Handicaps diskriminiert werden, sondern Vielfalt aktiv gefördert wird.
Warum? Weil bei Gott alle willkommen sind. Alle. Weil wir nicht nur unsere religiöse Freiheit behaupten, sondern wir fordern sie für jeden Menschen. Und weil wir allen respektvoll und wertschätzend begegnen und wir uns in unserer Vielfalt und in unserer Unterschiedlichkeit schätzen.