Zum Seiteninhalt springen

Aus Erfahrung und Statistik weiss man, dass leider eine erhebliche Zahl von Patienten einen Rückfall nach der Krebsoperation erleidet. Präziser geht es um zwei unterschiedliche Arten von Rückfall: am Ort der Krebsentstehung selbst, also im Becken vor dem Steißbein (Lokalrezidiv), und in Form von Fernmetastasen. Letztere sind, was Krebs tödlich macht, weil sie lebenswichtige Organe zerstören. Meist sind das beim Rektumkarzinom die Leber, das Bauchfell, die Lunge – oder andere Organe, denn keines ist grundsätzlich ausgeschlossen.

Die Verbesserungen der Therapie hatten also immer zwei Ziele im Auge: Es müssen mit weiteren Maßnahmen über die OP hinaus sowohl Lokalrezidive als auch Fernmetastasen verhindert werden. Knapp und scharf formuliert: Die Ziele sind lokale Kontrolle und Überleben.

Erhöhtes Fernmetastasen-Risiko: Chemotherapie nach OP

Wie bei anderen Krebsarten auch, wird versucht, Fernmetastasen mit Hilfe von Chemotherapie von vornherein zu unterdrücken, bevor sie überhaupt auftreten. Diese vorbeugende oder zur OP ergänzende Chemotherapie soll sich mit dem Blut verteilen und eventuell aufkeimende Metastasen in allen Organen abtöten. Sie wird als adjuvante (ergänzende) Therapie bezeichnet und folgt auf die OP.

Welche Medikamente in welchen Dosierungen man den Patienten anrät, ist tatsächlich manchmal nicht ganz einfach. Vor allem basiert die Empfehlung auf der Bewertung der feingeweblichen Analyse des Operationspräparates (Histologie). Sie muss aber genauso einbeziehen, was der Patient vertragen kann, also die körperliche Verfassung berücksichtigen.

Das Spektrum reicht von relativ gut verträglichen Chemo-Tabletten bis hin zu einer halbjährlichen Phase von in die Vene zu gebenden Chemotherapie-Kombinationsschemata.

Hohes Lokalrezidiv-Risiko: Kombination aus Strahlen- und Chemotherapie vor OP

Das Besondere in der Behandlung des Mastdarmkrebses ist aber der Umgang mit dem Lokalrezidiv-Risiko. Wie kann man verhindern, dass wenige Jahre nach der OP sich im Becken wieder ein Tumorknoten bildet? Die OP-Technik spielt die wichtigste Rolle, aber auch Möglichkeiten der medikamentösen und vor allem strahlentherapeutischen Zusatzbehandlung sollten nicht unterschätzt werden.

Die Grundlagen zur Strahlenbiologie wurden in den letzten Jahrzehnten gut erforscht. Erkenntnisstand, Diagnostik, Planungssoftware, Präzision der Bestrahlungsgeräte haben einen Quantensprung nach vorn gemacht, vergleichbar mit der Entwicklung vom Wählscheibentelefon zum Smartphone im 5G-Netz. Wir wissen, dass eine Bestrahlung im Becken da viel Leid verhindern kann, wo das Risiko hoch ist. Gut belegt ist auch, dass die Bestrahlung vor die OP gehört. Sie ist wirksamer und sie wird besser vertragen als nach der OP.

Man kann die Wirksamkeit von Bestrahlungen deutlich verbessern, und zwar stärker verbessern, als dass man Nebenwirkungen verschlimmert, indem man die Bestrahlung mit einer relativ leichten Chemotherapie kombiniert. Wir geben das Medikament in diesem Fall, um die lokale Wirkung zu optimieren. In der Regel wird die Substanz Capecitabin als Chemo-Tablette strahlentäglich in einer individuellen Dosis verschrieben.

Überwiegend sehen wir Behandlungsphasen von 5-6 Wochen Dauer vor. Die dadurch ermöglichten niedrigeren täglichen Strahlendosen bewirken eine bessere Langzeitverträglichkeit. Auch kann man erwarten, dass sehr große Knoten schrumpfen und die OP machbarer wird.

Erhöhtes Lokalrezidiv-Risiko: Kurze Bestrahlung vor OP

In anderen Ländern üblicher ist ein Vorgehen, bei dem auf die begleitende Chemotherapie verzichtet wird und die Bestrahlung auf fünf Tage zusammengezogen wird – mit höheren Einzeldosen. Auf eine Tumorverkleinerung wird nicht gewartet, die OP folgt unmittelbar.

TNT gegen den „ugly tumor“ – Maximale Vorbehandlung bei Höchstrisiko

Eine Entwicklung der letzten Jahre folgte zwei Prinzipien: Je mehr Zusatzbehandlungen man vor der OP unterbringt, desto verträglicher und wirksamer sind sie. Und: Wenn man die Chemotherapie intensiver macht, gewinnt man deutlich bessere Chancen auch gegen aggressive und weit fortgeschrittenen Krebse.

Das hat zum Konzept der TNT geführt. Damit wird die „Total Neoadjuvante Therapie“ abgekürzt: sowohl eine Strahlen- oder Strahlenchemotherapie, als auch eine etwa viereinhalb Monate dauernde Chemotherapie-Kombination erfolgen vor der OP. Mit der OP ist die Behandlung dann abgeschlossen.

Das hat in Studien immerhin dazu geführt, dass gut ein Viertel der so behandelten Patienten zum Zeitpunkt der OP krebsfrei waren. Dieses Vorgehen gilt inzwischen dann als Standard, wenn die anfänglichen Untersuchungen signalisieren, dass ein Höchstrisiko dafür besteht, dass die OP allein unzureichend wäre.

Sonderfall: TNT, um den künstlichen Ausgang zu vermeiden

Es mehren sich in der Fachliteratur Berichte darüber, dass man versuchen kann, die intensive und nebenwirkungsreiche TNT allein deswegen einzusetzen, weil man hofft, ganz auf eine OP verzichten zu können. Das besonders hohe Rückfallrisiko spielt hier plötzlich keine Rolle, weil eine ganz andere Idee verfolgt wird: Kann ein künstlicher Darmausgang vermieden werden, wenn die intensive Vorbehandlung so gut wirkt, dass sie als alleinige Hauptbehandlung ohne OP ausreicht?

Das ist kein Standardvorgehen, hat eigene Nebenwirkungsrisiken und bedarf sehr intensiver und aufwändiger Nachkontrollen.

Sonderfall: Immuntherapie

In der Fachpresse hat Wellen geschlagen, dass in besonderen und recht seltenen Fällen eine extreme Empfänglichkeit des Krebsgewebes gegen eine neuartige Gruppe von Medikamenten besteht: Eine Analyse von Reparatur-Genen zeigt manchmal, dass Krebszellen besonders schlecht in der Lage sind, ihre Gene intakt zu halten – sie werden als „Mikrosatelliten-instabil“ bezeichnet. Von solchen Zellen weiß man, dass das körpereigene Immunsystem sie besonders gut vernichten kann, wenn es medikamentös stimuliert wird, die Krebszellen wieder als „Feind“ zu erkennen.

Medikamente, die das tun, sind seit wenigen Jahren verfügbar. Sie werden als Immun-Checkpoint-Inhibitoren bezeichnet.

Dieses Prinzip wurde dann auch in bislang kleinen, aber Aufsehen erregenden Studien vor geplanter OP bei Patienten mit einem Enddarmkrebs genutzt – mit durchschlagendem Erfolg. Wir erwarten, dass sich in Kürze hieraus Behandlungsmöglichkeiten im Alltag ableiten lassen.