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Heutzutage nimmt man an, dass lange vor der OP einzelne bösartige Zellen oder Zellgrüppchen, so klein, dass sie auch unterm Mikroskop kaum auffallen würden, sich vom Ursprungstumor lösen, eine Wanderung mit Blut oder Lymphe in entfernte Gewebe wie Leber oder Lunge überleben (die meisten werden vom Immunsystem erwischt) und sozusagen überwintern. Irgendwann setzt ihr Wachstum ein und sie bilden einen Metastasenknoten, der schließlich als Rückfall (Rezidiv) erkennbar wird.

Es gibt nun Untersuchungen, die einen einfachen Gedanken geprüft haben: Was, wenn vorbeugend jeder Patient mit erhöhtem Risiko „auf Verdacht“ eine Chemotherapie nach der OP bekommt – obwohl man ja nicht weiß, ob die eventuell vorhandenen Mikro-Streuherde bei ihm tatsächlich existieren? Tatsächlich kann man das Rückfallrisiko auf diese Weise senken. Weil aber dieses Vorgehen weder seine Nützlichkeit garantieren kann, noch im Einzelfall klar sein kann, ob nicht vielleicht nie Streuherde vorlagen, wird es Behandelte geben, die die Behandlung nie benötigt hätten, und es wird Behandelte geben, bei denen sie leider nicht wirkt – aber es gibt in der Gruppe aller Behandelten weniger Rückfälle als in einer Vergleichsgruppe ohne Behandlung.

Um es mit realen, wenngleich extremen Zahlen plastisch zu machen: wenn der Patient nicht zu alt ist, wenige Begleitkrankheiten hat, wenn der Tumorknoten groß ist, vor allem, wenn viele angrenzende Lymphknoten befallen waren, wenn vielleicht noch die Gewebsmerkmale auf eine erhöhte Aggressivität des Krebses deuten – dann werden etwa 6 von 10 Operierten mit einer solchen individuellen Konstellation trotz optimaler OP in 5 Jahren am Rückfall sterben. Behandelt man alle 10 mit einer Chemotherapie, werden 2-3 von ihnen dadurch nicht sterben. 4 wären sowieso nicht gestorben. 3-4 werden trotzdem sterben. Fazit: 7-8 werden ohne Nutzen behandelt, um 2-3 zu retten.

Im Beispiel ist die Effektgröße bei rund 25%. Das ist in der Onkologie für eine vorbeugende Behandlung ein sehr hoher Nutzen. Fast jeder Patient, dem die Option angeboten wird, seine Chancen um 25% zu verbessern, greift zu. Es besteht ein gewisses Einvernehmen, dass eine vorbeugende Behandlung nicht mehr angeboten wird, wenn der Effekt sehr klein ist. Selbstverständlich gehört eine Betrachtung von Nebenwirkungen auch noch mit in die Rechnung. In vielen Fällen werden wir, wenn der Effekt unter 5% Verbesserungswahrscheinlichkeit ist, von adjuvanten Maßnahmen abraten.

Dank auf großen Statistiken beruhender internetbasierter Programme können wir im Einzelfall in etwa ausrechnen, wie hoch die Chancenverbesserung durch eine ergänzende Chemotherapie sein würde. Sie merken: Nicht jeder Mensch muss unbedingt im selben Maße bereit sein, um einer gewissen Verbesserung willen Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen. Die Behandlung mit einer Chemotherapie ist nicht Pflicht. Sie muss abgewogen werden - reden wir darüber.